SVSV (Starke Verben, schwache Verben)

Ein Klassiker der grammatischen Unsicherheit ist das Verb hängen: „Der Besucher hing seinen Mantel an den Garderobenhaken“. Das liegt daran, dass es hängen in zwei Varianten gibt: als sogenanntes schwaches oder starkes Verb, beziehungsweise als regelmäßiges oder unregelmäßiges Verb. Regelmäßig (schwach) sind Verben, die nach einer festen Regel konjugiert werden. Der Verbstamm bleibt gleich und hat immer dieselben Vorsilben oder Endungen: zum Beispiel wohnen, wohnte, gewohnt oder lachen, lachte, gelacht und so weiter. Die unregelmäßigen (starken) Verben sind alle anderen – es sind zwar weniger, aber sie kommen oft vor: essen, aß, gegessen, trinken, trank, getrunken und so weiter.

Nun gibt es einige Verben, die sowohl stark als auch schwach sein können. Dazu gehört hängen. In der schwachen Variante heißt es also: hängen, hängte, gehängt – und es hat immer ein direktes Objekt, also etwas, das gehängt wird, wie der Mantel in dem Beispiel oben. Es muss also heißen: „Der Besucher hängte seinen Mantel an den Garderobenhaken“. Oder: „Die Kuratorin hängte ein Bild an die Wand“. (Verben, die so ein Objekt haben, nennt man übrigens transitiv; woher dieses Wort kommt, erkläre ich vielleicht ein andermal.) In der starken Variante heißt es dagegen: hängen, hing, gehangen – und es hat kein Objekt (ist also intransitiv): „Der Mantel hing am Garderobenhaken“; „Das Bild hing an der Wand“ (wenn etwas mit an, in und so weiter anfängt, ist es nämlich kein Objekt, sondern eine adverbiale Bestimmung – Wo ist der Mantel? Wo ist das Bild?).

Erschrecken ist auch so ein Beispiel: „Der große Hund hat das Baby erschrocken“. Oh weh. Auch hier gibt es zwei Varianten. Die schwache ist erschrecken, erschreckte, erschreckt: „Der große Hund hat das Baby erschreckt“ (mit dem Objekt „das Baby“ – wer hat wen erschreckt?). Und das hatte zur Folge, dass das Baby erschrocken ist (kein Objekt – hier ist das Baby ja das Subjekt, also das, das etwas „tut“). Im Präteritum heißt es entsprechend: „Der große Hund erschreckte das Baby – das Baby erschrak“; die starke Variante zusammengefasst also erschrecken, erschrak, erschrocken.

Und wie ist es mit wiegen? Erstmal regelmäßig (schwach): wiegen, wiegte, gewiegt; das ist immer transitiv. „Der Vater wiegte das Baby in seinen Armen“ oder reflexiv (mit „sich“): „Die Schilfhalme wiegten sich im Wind“.

Etwas komplizierter wird es bei der starken (unregelmäßigen) Variante, denn bis jetzt war es ja alles ganz einfach: wiegen, wog, gewogen. Das kann nämlich intransitiv oder transitiv sein. „Ein Elefant wiegt einige Tonnen“, das heißt, ist einige Tonnen schwer; hier ist das Verb also intransitiv. „Die Tierärztin hat den Elefanten gewogen“ (naja, nicht auf die Art, wie man eine Katze wiegt, indem man sich selbst einmal mit und einmal ohne Katze auf die Waage stellt, sondern mit einer extra Elefantenwaage). Hier ist das Verb transitiv: Wer hat wen gewogen?

Daran kann man gut erkennen, dass die verschiedenen Formen auch verschiedene Bedeutungen haben: „Der Vater wiegte das Baby, bis es schlief“ – „Die Mutter wog das Baby, um zu sehen, ob es zugenommen hatte“.

Übrigens kann man auch Kräuter wiegen, nämlich mit einem Wiegemesser. Das ist die gleiche Bewegung, hin und her.

Und zum Nachlesen, wenn ihr tiefer einsteigen wollt, hier ein interessanter Link: Starke Verben – Variation zwischen schwachen und starken Formen

Eine Diskussion mit dem Regisseur

Bitte die Überschrift laut vorlesen!

Wie habt ihr das Doppel-s ausgesprochen? Stimmlos (wie in Wasser) oder stimmhaft (wie in sausen)?

Im Grunde ist die Sache klar: es ist ein doppeltes s, und das signalisiert: dieses s wird stimmlos ausgesprochen. Es hat sich aber eine Unsitte eingeschlichen: immer öfter hört man auch von Journalisten „Diskusion“; auch „Regisör“ ist mir schon mehrfach ins Ohr gefallen (gibt es für „ins Auge fallen“ eigentlich einen entsprechenden akustischen Ausdruck?). Außerdem „agresiv“ (das macht einen geradezu aggressiv, das zu hören) oder, inzwischen aus der Zeit gefallen, „Kasette“ (klingt wie „kleines Haus“ auf Italienisch: „casetta“ – soll aber „Kassette“: „kleiner Kasten“ u.a. bedeuten).

Warum sagt man das? Man sagt ja auch nicht „Waser“ (mit kurzem a) oder „fresen“ (mit kurzem e). Bei Regisseur kann ich noch argumentieren, dass drumherum lauter stimmhafte Konsonanten sind: zweimal r und ein stimmhaftes sch, das es im (Hoch)Deutschen ja gar nicht gibt. Aber bei Diskussion? Ein stimmloses s und ein k davor – daran kann es also auch nicht liegen. Allerdings sind beides Fremdwörter; Wasser und fressen hingegen nicht.

Vielleicht isses das? Und hier würde ich das Doppel-S auch stimmhaft aussprechen: ises mit kurzem i. Das ist allerdings kein richtiges Hochdeutsch mehr, sondern Umgangssprache. Und in den Dialekten ist sowieso alles Mögliche erlaubt. Im (Rhein)Hessischen zum Beispiel sagt man eben nicht „hessisch“, sondern „hesisch“ – das lässt sich schriftlich gar nicht wiedergeben, weil das e sonst lang ausgesprochen würde: „heesisch“. Oder die Meenzer Fassenacht – sss, sss, sss – so wie eine Mücke sirrt …

Mücke: sssss (stimmhaft), Schlange: sssss (stimmlos)

Im Englischen gibt es da auch Fallstricke, zum Beispiel werden gern die Wörter „desert“ und „dessert“ durcheinandergeworfen. Da wird in beiden Fällen das „s“ stimmhaft ausgesprochen; der Unterschied liegt in der Betonung: „desert“ mit Betonung auf der ersten Silbe bedeutet „Wüste“ oder „verlassen“, „dessert“, auf der zweiten Silbe betont, „Nachtisch“ (was im Deutschen fast genauso ausgesprochen wird, aber mit stimmlosem s (wie auch im Französischen, wo das Wort herkommt). Und so weiter …

Der umgekehrte Fall ist mir übrigens auch schon untergekommen: „Provission“ statt „Provision“ – vielleicht in Analogie zu „Profession“? Rätsel über Rätsel. Und es gibt ja auch den gemeinen Spruch: „Fremdwörter sind Glücksache …“, aber da sitzt man schnell mal im Glashaus 🙂

Nachtrag: Da man mit den vielen verschiedenen „s“ in diesem Text leicht durcheinanderkommen kann, gibt es hier nochmal eine akustische Version:

Trotzdem – trotzdem! Obwohl …

In diesem Beitrag werden wundervolle Ausdrücke wie „konzessive Subjunktion“ oder „Konjunktionaladverb“ vorkommen, mit denen man bei Gelegenheit gut angeben kann.

Der Anlass dazu war ein Text in einem Schreibkurs, in dem sinngemäß stand: „Trotzdem er zu spät gekommen war, tat er so, als sei nichts gewesen.“ Als die Sprecherin diesen Text vorlas, betonte sie „trotzdem“ auf der zweiten Silbe. Daraufhin krümmte sich die Hälfte der Zuhörer:innen innerlich (und teils äußerlich erkennbar); die andere Hälfte dagegen wunderte sich über die eine Hälfte.

„Trotzdem“ verwendete die Autorin in diesem Fall als Konjunktion. „Konjunktion“ kommt von lateinisch „con“ (mit) und „iungere“ (verbinden), also: miteinander verbinden. Genauer gesagt, gebrauchte sie das Wort als Subjunktion („sub“ heißt „unter“, also „unterhalb verbinden“; das heißt, es leitet einen Nebensatz ein). Und ganz genau gesagt, als konzessive Subjunktion. „Konzessiv“ heißt: ein Zugeständnis machend (lateinisch „concedere“ zugestehen – es gibt übrigens auch das Verb „konzedieren“ mit derselben Bedeutung). Wo waren wir? Ach ja, „trotzdem“ mit Betonung auf „dem“.

Warum war das einigen Zuhörer:innen so unangenehm? Weil es in der Bedeutung von „obwohl“ gebraucht wurde, für das es viele schöne Synonyme gibt, ohne dass man „trotzdem“ verwenden müsste: obschon, obgleich, obzwar, wenngleich, wiewohl – wiewohl man zugeben muss, dass außer „obwohl“ keines dieser Wörter noch gebräuchlich ist, schon gar nicht in der gesprochenen Sprache. Statt dessen benutzen manche eben „trotzdem“, obwohl (!) das nicht standardsprachlich ist (Details dazu beim Atlas der deutschen Alltagssprache).

„Trotzdem“ gibt es natürlich trotzdem – aber, mit der Betonung auf der ersten Silbe, als Adverb („ad“ (bei), also „beim Verb“). Genauer gesagt, als Konjunktionaladverb, das heißt, als ein Adverb, das auch als Konjunktion fungieren kann (fungieren hat nichts mit Pilzen zu tun (Scherz für Italienisch Sprechende), sondern kommt von „Funktion“). Zum Beispiel: „Er kam zu spät. Trotzdem tat er, als sei nichts gewesen.“ Oder: „Dieser Text ist grottenlangweilig. Trotzdem lese ich ihn zu Ende.“

Der die das – Teil 2: Der Spezialfall

Dass Artikel (in der Schule „Begleiter“ genannt) soviel Stoff hergeben würden, hätte ich gar nicht gedacht. Die Ausgangsfrage war aus (gar nicht mehr so) aktuellem Anlass: heißt es der oder das Virus? Eine schöne Erklärung gibt dazu der MDR.

Nachdem ich jedoch gefragt wurde, ob es auch Wörter gibt, die zwar gleich klingen, aber mit verschiedenen Artikeln auch verschiedene Bedeutungen haben, habe ich mich nochmal hingesetzt. (Dazu übrigens noch einen Fachbegriff: weil sie gleich klingen, heißen sie „homophon“ – praktisch wörtlich aus dem Altgriechischen übersetzt.)

Tatsächlich gibt es gar nicht so wenige solcher Wörter:

Moment: der Moment (in der Zeit), das Moment (zum Beispiel in der Physik das Drehmoment)

Schild: das Schild (an der Straße, am Laden …), der Schild (bei Römern wie Caligula minus, Wikingern wie Hägar usw.)

Verdienst: der Verdienst (Geld: Lohn, Gehalt, Honorar), das Verdienst (als (moralische) Leistung)

Leiter: die Leiter, unter der schwarze Katzen hindurchhuschen, der Leiter (z.B. einer Einrichtung, bei Jugendlichen nennt sich die Vorstufe begeisternderweise „Halbleiter“ – da freut sich der Physiker)

Heide: auch schön! Die Heide (Stichworte Lüneburg, Landschaft, Erika), der Heide (heute eher selten gebraucht; laut Kluges Etymologischem Wörterbuch aus dem Griechischen über das Gotische ins Deutsche gekommen)

Balg: der Balg (abgezogene Tierhaut, in städtischen Zusammenhängen eher ungebräuchlich), das Balg (in städtischem Zusammenhang eher gebräuchlich: ungezogenes Kind, vergleiche auch das Blag, die Blagen – möglicherweise durch Metathese entstanden (Vertauschen zweier Laute), das ist aber nur eine Vermutung)

Die Reihe könnte man noch fortsetzen, ich will sie aber beschließen mit dem Hinweis, dass es auch Wörter gibt, die zwar verschiedene Artikel haben, aber trotzdem das Gleiche bedeuten: zum Beispiel Teil, Knäuel, Bonbon und natürlich der Ausgangspunkt dieser Erörterung: Virus.

Der die das – Teil 1: Die literarische Erklärung

Bekanntermaßen gibt es im Deutschen drei Artikel im Singular: der, die, das. Warum aber heißt es zum Beispiel „der Stuhl“, aber „die Lampe“ und „das Buch“? Generationen von kleinen Kindern und anderen Deutschlernenden sind schon daran verzweifelt, dass man keine allgemeingültige Regel dafür aufstellen kann – auswendig lernen, anders geht’s nicht.

Sprachhistorisch lassen sich die meisten Einzelfälle zwar erklären, aber wer hat die Zeit, jedem Wort nachzuforschen?

In Wahrheit gibt es sowieso nur eine Quelle, die dieses Problem schlüssig erklärt: James Krüss‘ (man beachte den Apostroph) Geschichte „Die Wipp-Wapp-Häuser“, die in „Mein Urgroßvater und ich“ erzählt wird. Aus urheberrechtlichen Gründen darf sie hier leider nicht wiedergegeben werden, aber das Buch ist nach wie vor erhältlich, und in Bibliotheken sowieso. Also: Leseempfehlung!