Der die das – Teil 2: Der Spezialfall

Dass Artikel (in der Schule „Begleiter“ genannt) soviel Stoff hergeben würden, hätte ich gar nicht gedacht. Die Ausgangsfrage war aus (gar nicht mehr so) aktuellem Anlass: heißt es der oder das Virus? Eine schöne Erklärung gibt dazu der MDR.

Nachdem ich jedoch gefragt wurde, ob es auch Wörter gibt, die zwar gleich klingen, aber mit verschiedenen Artikeln auch verschiedene Bedeutungen haben, habe ich mich nochmal hingesetzt. (Dazu übrigens noch einen Fachbegriff: weil sie gleich klingen, heißen sie „homophon“ – praktisch wörtlich aus dem Altgriechischen übersetzt.)

Tatsächlich gibt es gar nicht so wenige solcher Wörter:

Moment: der Moment (in der Zeit), das Moment (zum Beispiel in der Physik das Drehmoment)

Schild: das Schild (an der Straße, am Laden …), der Schild (bei Römern wie Caligula minus, Wikingern wie Hägar usw.)

Verdienst: der Verdienst (Geld: Lohn, Gehalt, Honorar), das Verdienst (als (moralische) Leistung)

Leiter: die Leiter, unter der schwarze Katzen hindurchhuschen, der Leiter (z.B. einer Einrichtung, bei Jugendlichen nennt sich die Vorstufe begeisternderweise „Halbleiter“ – da freut sich der Physiker)

Heide: auch schön! Die Heide (Stichworte Lüneburg, Landschaft, Erika), der Heide (heute eher selten gebraucht; laut Kluges Etymologischem Wörterbuch aus dem Griechischen über das Gotische ins Deutsche gekommen)

Balg: der Balg (abgezogene Tierhaut, in städtischen Zusammenhängen eher ungebräuchlich), das Balg (in städtischem Zusammenhang eher gebräuchlich: ungezogenes Kind, vergleiche auch das Blag, die Blagen – möglicherweise durch Metathese entstanden (Vertauschen zweier Laute), das ist aber nur eine Vermutung)

Die Reihe könnte man noch fortsetzen, ich will sie aber beschließen mit dem Hinweis, dass es auch Wörter gibt, die zwar verschiedene Artikel haben, aber trotzdem das Gleiche bedeuten: zum Beispiel Teil, Knäuel, Bonbon und natürlich der Ausgangspunkt dieser Erörterung: Virus.

Der die das – Teil 1: Die literarische Erklärung

Bekanntermaßen gibt es im Deutschen drei Artikel im Singular: der, die, das. Warum aber heißt es zum Beispiel „der Stuhl“, aber „die Lampe“ und „das Buch“? Generationen von kleinen Kindern und anderen Deutschlernenden sind schon daran verzweifelt, dass man keine allgemeingültige Regel dafür aufstellen kann – auswendig lernen, anders geht’s nicht.

Sprachhistorisch lassen sich die meisten Einzelfälle zwar erklären, aber wer hat die Zeit, jedem Wort nachzuforschen?

In Wahrheit gibt es sowieso nur eine Quelle, die dieses Problem schlüssig erklärt: James Krüss‘ (man beachte den Apostroph) Geschichte „Die Wipp-Wapp-Häuser“, die in „Mein Urgroßvater und ich“ erzählt wird. Aus urheberrechtlichen Gründen darf sie hier leider nicht wiedergegeben werden, aber das Buch ist nach wie vor erhältlich, und in Bibliotheken sowieso. Also: Leseempfehlung!

Orthographie, Orthografie, Ortografie – ja, was denn nun?

Graf Oszillo – den holte unser Physiklehrer beim Unterricht zu Messtechnik raus. Später gab es dann in der Sesamstraße Graf Zahl (im amerikanischen Original „Count von Count“. Graf Ortho hingegen ist mir nirgendwo begegnet. Jedenfalls wurde Orthographie immer noch mit ph geschrieben, denn es kommt aus dem Griechischen, und das griechische φ wurde mit „ph“ transkribiert, also in der lateinischen Schrift wiedergegeben. Aber warum mit zwei Buchstaben, wo es einer, nämlich f, getan hätte?

Im Altgriechischen wurde das φ noch wie ein aspiriertes p, also wie ein p mit einem h dran, ausgesprochen. Diese Aussprache gibt es im Deutschen heute noch, wenn man verächtlich „ph“ sagt, wie es der Kater Schipp in „Löwe in der Grube“ (später unter dem Titel „Der Löwe ist los“) gerne tut.

Später, also immer noch viel früher als heute, vor ungefähr eintausendachthundert Jahren, wandelte sich die Aussprache zu f. Aber weil die deutsche Rechtschreibung sich an den „klassischen Sprachen“ Latein und Griechisch orientierte, wurde die Schreibung mit ph sehr lange beibehalten. Nach der Rechtschreibreform darf man nun Wörter mit f schreiben, die vorher noch mit ph geschrieben wurden, z.B. Delfin, man muss aber nicht, kann also auch noch Delphin schreiben. Elefant dagegen wurde schon lange vor der Rechtschreibreform nicht mehr mit ph geschrieben. Da es allerdings im Englischen (und Französischen) nach wie vor elephant heißt, kann das verwirrend sein.

Wenn das ph (oder f) in einem Wort zweimal vorkommt, schreibt man heutzutage in der Regel beispielsweise FotografiePhotographie geht aber auch. Bloß Mischformen sind nicht erlaubt – Fotographie oder Photografie geht nicht (alles schon gesehen).

Was die Orthographie betrifft: auch hier darf man beides schreiben. Das th bleibt allerdings bestehen – so konsequent wie Schwedisch, das  hier schon mal erwähnt wurde und wo es einfach ortografi heißt, ist das Deutsche (noch) nicht.

Übrigens kann man es auch Rechtschreibung nennen.

Portemonnaie, Portmonee, portmonnä

Wie schreibt man das denn nun? Wörter, die im Deutschen häufig verwendet werden, aber aus dem Französischen kommen, sind schwierig zu schreiben. Die französische Rechtschreibung hat mit der Aussprache oft nur noch wenig zu tun; das hat historische Gründe. Die deutsche Rechtschreibung übernimmt diese Orthographie bzw. Orthografie manchmal, manchmal aber auch nicht, und hin und wieder darf man auch beides schreiben, wie zum Beispiel Friseur oder Frisör, wobei der Duden die Schreibweise mit ö empfiehlt. Bei Portemonnaie ist es umgekehrt: Portmonee, nach der ersten Rechtschreibreform die richtige Schreibweise, ist jetzt zwar noch erlaubt, aber nicht mehr empfohlen. Daran kann man gut erkennen, wie relativ „richtig“ ist!

Die schwedische Rechtschreibung dagegen „verschwedischt“ solche Wörter konsequent: portmonnä für Portemonnaie, toalett für Toilette (was im Deutschen ja auch „Toa…“ ausgesprochen wird), följetong für Feuilleton. Die deutsche Aussprache folgt übrigens oft auch diesem Prinzip: Jalousie wird wie „Schalusi“ (sch oft stimmlos wie bei Schal, weil es im Hochdeutschen kein stimmhaftes sch gibt, und mit Betonung auf der letzten Silbe) ausgesprochen, Bonbon wie „Bongbong“ oder bei kleinen Kindern „Bombom“, Balkon wie „Balkong“ oder auch „Balkoon“ mit langem o.

Viele Wörter lassen sich aber auch tatsächlich eindeutschen: statt Portemonnaie Geldbeutel oder Geldbörse (oder Geldbörserl in einer österreichischen Variante), statt Toilette Klo (wobei das eigentlich die Abkürzung eines ebenfalls französischen Wortes ist, nämlich Klosett (= das Geschlossene)), statt Friseur Hairdresser – ach nein, das ist ja jetzt wieder neudeutsch 😉

Mein Lieblingsbeispiel ist aber ein Ausdruck, den ich mir im Stillen erstmal übersetzen musste, bis ich ihn verstand: „schief vis-à-vis“ für „schräg gegenüber“.

Slow

Vorbemerkung: An diesem Beitrag verzweifelt die Vorlesefunktion eines Screenreaders; das heißt, er wird praktisch unverständlich. Deshalb gibt es eine Audio-Aufnahme:

 

Es begann damit, dass der Dozent einer Einführung ins Tschechische uns mitteilte, das tschechische Wort für Slowakisch sei „slovenský“. Für unbedarfte Ohren klingt das ja nun eher wie „Slowenisch“, aber nein, das wiederum heißt auf Tschechisch „slovinský“. Auf Slowakisch sind die Bezeichnungen übrigens dieselben, während es sich auf Slowenisch mehr oder weniger umgekehrt verhält: „Slowakisch“ heißt „slovaški“ und „Slowenisch“ „slovenski“.

Einige Monate später las ich ein Interview mit dem Direktor des Sorbischen Instituts, in dem ich unter anderem lernte, dass „Sorbisch“ auf Sorbisch „serbski“ heißt, was für unbedarfte Ohren ja nun eher wie „serbisch“ klingt. Aber das heißt auf Sorbisch „serbiski“, wohingegen „Sorbisch“ auf Serbisch „lužičkosrpski“ (Lausitzer Serbisch) heißt. Ganz abgesehen davon, dass es auch Ober- und Niedersorbisch gibt.

Und dann gibt, nein gab es ja noch Slowinzisch, das im 20. Jahrhundert ausgestorben ist. Das heißt auf Slowakisch „severný slovinský“ (sozusagen „Nordslowenisch“), auf Slowenisch dagegen „slovinski“. Abgesehen davon heißt die allgemeine Bezeichnung für Slawisch im Tschechischen und Slowakischen „slovanský“, im Slowenischen „slowanski“, im Sorbischen „słowjanski” und im Serbischen “slovenski”.

Hier ein Überblick:

Ach ja, und wie ist das mit “Slawonisch”? Das lassen wir hier jetzt mal ganz raus, denn das ist keine Sprachbezeichnung. Wenn es euch interessiert, könnt ihr selbst mal nachforschen.

Übrigens: der ganze “slow”-Kram ist nicht langsam (Englisch spielt hier keine Rolle), sondern kommt vom Wortstamm für “Wort”, bezeichnet also einfach die Sprache als Sprache.

Alles klar?

(Einen großen Dank an dieser Stelle an Martin Ptasiński, der mir bei diesen und vielen anderen Sprachbezeichnungen sehr geholfen hat, sowie an @wjeselo und Julian Nyča für Infos über Twitter)